Kill a faggot, kill me!

[TW: Homophobe Gewalt] Für kurze Zeit gab es auf der Online-Vertriebsplattform „Steam“ das Spiel „Kill The Faggot“. In diesem homophoben Moorhuhn-Verschnitt ist es das Ziel möglichst viele Schwule zu erschießen und dadurch Punkte zu sammeln.

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Das ganze Spiel ist einem Anti-Gay-Theme gehalten. Bereits auf dem Startbildschirm ist zentral eine durchgestrichene Regenbogenfahne zu finden. Im Spiel an sich laufen verschieden aussehende Männer über den Bildschirm. Das Ziel ist es, die Personen mit nicht-männlichen Aussehen (in pink oder mit Halstüchern bekleidet) zu erschießen. Sollte aus Versehen eine heterosexuelle Person – erkennbar an schwarzen und dezenten Klamotten – erschossen werden, so gibt es einen Punktabzug. Eine besonders hohe Punktzahl geben die „Transgender Freaks“.

Bereits nach kurzer Zeit zwangen heftige Reaktionen Steam dazu, dass Spiel aus dem Angebot zu nehmen. Es steht aber weiterhin auf der Homepage des Entwicklers zum freien Download zur Verfügung.

I dont’t hate gays, but…

Mittlerweile lässt sich eine ausführliche Erklärung auf der Homepage des Entwicklers finden. Sie beginnt mit der standardisierten Ausrede: „I dont’t hate gays“. In guter homophober Manier folgt natürlich umgehend das „, aber…“. Der Entwickler versucht sich als Märtyer darzustellen, der lediglich gegen die political correctness protestieren wollte: „So I decided to go down a path that most developers are afraid to go down: to piss these people off by making the most overly offensive game possible to these idiots to prove a point“. Zusammengefasst werden alle Menschen verhöhnt, die dieses Spiel homophob und angreifend empfinden. Das Spiel wird verharmlost und es kommt zu gar keiner Einsicht: „As for an apology. Ain’t gonna happen.“

Aus diesen Gründen habe ich dieses Spiel, und die Debatte im Internet darum, als Beispiel für alltägliche Homophobie gewählt. Sie ist nicht subtil, wie viele Anfeindungen, die ich täglich erleben muss. Aber genau deswegen lässt sich so gut auf zwei Dinge hinweisen. Erstens Homophobie ist alltäglich. Und besonders zweitens, sie wird gerne verharmlost und runter gespielt.

Mir ist durchaus bewusst, dass es Aufmerksamkeit auf den Entwickler lenken wird (Stichwort: any press is good press). Deswegen habe ich bewusst keine Verlinkungen vorgenommen. Das ist mein Kompromiss. Bei Interesse lassen sich aber schnell weitere Informationen finden.

Ich bin schuld.

Es ist ein sehr schlecht gestaltetes Spiel. Ebenso führen gewalthaltige Spiele nicht zu einem gewaltvollem Handeln. Dieser Einschub ist mir wichtig, weil ich hier nicht in das gewalthaltige-Spiele-führen-zu-Gewalt abrutschen möchte.

Die Botschaft dieses Spieles und nicht die Gewalt an sich, steht für mich im Fokus. Hier wird eine Unterscheidung zwischen Menschen (die über den Bildschirm laufen) vorgenommen. Gewalt richtet sich gezielt gegen die als nicht-heterosexuell wahrgenommene Personen, anderes Verhalten wird bestraft.

Aus der Außensicht heißt diese Botschaft: Es in Ordnung nicht-heterosexuell bzw. nicht-männlich auftretende Männer anzugreifen. Es ist nicht nur in Ordnung, es wird erwünscht. Denn nur so kann eine fiktive Ordnung wiederhergestellt werden.

Viel wichtiger ist mir aber die Innensicht: Was bedeutet dieses Spiel für schwule Menschen? Was bleibt hängen?

Das selbe wie immer! Ich bin nicht normal. Ich bin selber schuld an Angriffen, wenn ich mich so (schwul) verhalte. Eine Botschaft dir mir täglich immer wieder entgegengeworfen wird.

Deswegen war es mir so wichtig, diesen Beitrag zu schreiben. Hier wird sehr einfach deutlich, was viele Schwule täglich erleben müssen. Im Glücksfall eine Rarität, im schlimmen Fall etwas abscheuliches zu sein. Eine Botschaft, die sonst häufig nur sehr subtil mit Blicken und Sprüchen ausgedrückt wird.

I dont’t hate gays, but…du bist selber schuld, wenn du so rumläufst.

We were born sick
You heard them say it – Hoizer (Take Me To Church)

Täglich grüßt das rassistische Murmeltier

Es sind bereits zwei Tage vergangen, seitdem die Entdeckung einer rechtsterroristischen Organisation für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Seit Mittwoch sind bereits viele Artikel darüber erschienen. Dennoch beschäftigt mich dieses Thema weiterhin. Aber warum eigentlich?

Zu meiner morgendlichen Routine gehört es, meine Twitter Timeline zu lesen. Einer der ersten Tweets am Mittwoch war eine Nachricht, die sich allmorgendlich wiederholt.

Kurze Zeit später kam diese Nachricht:

Meine erste Reaktion auf beide Nachrichten: Nicht schon wieder!

WTF??

Aber genau diese Reaktion von mir selber, hat mich ins Grübeln gebracht. What the fuck? Wie abgestumpft bin ich mittlerweile eigentlich? Wie sehr habe ich mich an solche Nachrichten am Morgen gewöhnt? Bin ich schon so resigniert?

Antirassismus ist seit jeher ein wichtiges Thema für mich. Es war das Thema, was mich politisierte. Warum reagiere ich nun also so desinteressiert darauf?

Fragen, die mich weiterhin beschäftigen und auf die ich immer noch keine zufriedenstellende Antwort finden kann. So sehr es mich auch stört, so sehr es mir auch schmerzt.

Das erschreckende ist nicht, dass es immer wieder rassistische Übergriffe und neue rechtsterroristische Organisationen gibt. Das eigentlich erschreckende ist, dass es nicht erschreckt.

Wir haben uns viel zu sehr daran gewöhnt. Der Ablauf ist immer der gleich. Die Dauerschleife des Rassismus: Nachricht, Empörung, schnelle Antworten der Politik.

Mal wird reflexartig nach der Vorratsdatenspeicherung gerufen, mal rückt das NPD-Verbot in den Fokus. Lediglich leichte Nuancen im täglichen Trauerspiel.

Wir nicht Die!

Wir sind in einer Empörgesellschaft gefangen. Missstände werden wahrgenommen und angekreidet. Das große Warten, bis von der ach so großen Politik doch etwas kommt. Und wenn nicht, dann empören wir uns noch ein bisschen.

Das Problem ist nicht nur der alltägliche Rassismus in unserer Gesellschaft, sondern auch die alltägliche Gewalt. Diese wird nicht verschwinden, wenn wir wegschauen und in gewohnte Muster verfallen.

Wir müssen aufhören die Verantwortung bei anderen zu suchen. Wir müssen endlich selber unseren Arsch bewegen, anstatt andere aufzufordern doch etwas zu tun.

Dazwischen gehen, Widersprechen, Solidarität zeigen, Missstände anzeigen sind unsere Aufgabe. Sie wegzudelegieren heißt sie zu dulden. Deswegen werde ich nun nach Düsseldorf fahren und gegen Pro NRW demonstrieren, anstatt länger zu grübeln.

Labels are for clothes not for human, but you are gay.

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Labels are for clothes not for human. We’re all human.

So die einfache Botschaft. Es wäre so schön, wenn es so einfach wäre. Sobald ich mich auf der Straße bewege, werde ich in Schubladen einsortiert.

Sie trägt ein Kopftuch, sie muss eine Muslima sein.
Er ist schwarz.
Er hat eine ausladende Hüftbewegung, er muss schwul sein.

Und schon beginnen die Assoziationsketten.

Sie wird garantiert von ihrem Mann unterdrückt.
Er hat sicherlich einen großen Schwanz.
Er verhält sich bestimmt ganz weiblich.

So zumindest einige Stereotype. Das ließe sich beliebig lange fortsetzen. Am Ende kommen die Terroristin, der Drogendealer und sexsüchtige Perverse raus.

Meine Sexualität ist meine Sexualität und ich habe nie nach deinen Gedanken gefragt

Einer der ersten Einträge in diesem Blog widmet sich genau dem Thema, wie durch die Gesellschaft meine „Homosexualität [..] von einem eher belanglosem Teil meinerselbst zum Kern meiner Identität geworden“ ist. Es ist ein sehr persönlicher Bericht über mich, meine Sexualität und meine Erlebnisse. Hier möchte ich auf andere Erlebnisse eingehen.

Ich lebe in einer heterosexuellen Welt. Das muss ich alltäglich erfahren. Sobald ich mich außerhalb meiner kleinen Blase bewege, werde ich von ihr belästigt und abgewertet. Vielen anderen nicht-heterosexuellen Menschen geht es wohl ähnlich. Ob auf der Arbeit, in der Schule oder im Studium. In der Pause beim Essen, dem Kaffee oder der Zigarette zwischendurch. Immer dann wenn persönliche Gespräche in den Vordergrund rücken.

Wie war dein vergangenes Wochenende? Was machst du heute Abend? Was gibt es neues bei dir?

Es wird erzählt was Mann* am Wochenende mit seiner Freundin gemacht hat. Mit den neusten Eroberungen wird geprahlt. Über ausstehende Dates gesprochen. Und schlagartig wird, für mich als Schwuler, aus diesen einfachen Fragen ein riesiger Stress.

Vor einigen Jahren habe ich mich zurückgehalten und neutrale unverbindliche Aussagen getroffen. Bloß nicht „mein Freund“ sagen. Mit „tolle Person“ einen heißen Mann* umschreiben. Ich habe mich versteckt und nicht angreifbar gemacht. Indem ich einen dicken Nebel drumherum ausgebreitet habe. Jetzt sehe ich das nicht mehr ein. Wer fragt, muss auch die Antwort ertragen.

Das Mann* und Frau* zusammengehören und für einander bestimmt sind, wird in jedem Gespräch als selbstverständlich angesehen. Als ein Naturgesetz. Mann* + Frau*. Nicht Frau* + Frau* oder Mann* + Mann*.

Denn sobald ich von meinem Partner, meinem neusten Date und Erlebnissen am Wochenende erzähle, rede ich als schwuler Mann* selbstverständlich von anderen Männern*. Und genauso selbstverständlich erwähne ich es mittlerweile auch. Ohne großen Bohai. Es ist mein Freund. Es ist ein toller Mann*, den ich kennengelernt habe.

Pause.

Ein unsicheres, unruhiges Sekündchen in dem schlagartig eine peinliche Stille eintritt. Auch bei Menschen, die von mir wissen, dass ich schwul bin.

Da er hat es ausgesprochen! Und schon habe ich das Label auf meiner Stirn tätowiert – unwiderruflich.

Die Pause verrät sehr viel. Unsicherheit und Erstaunen. Mir vermittelt es aber besonders: anormal, eine Rarität – im günstigsten Fall – oder eben auch ekelhaft, abscheulich!

Eine kleine Selbstverständlichkeit, die so viele Reaktionen und Emotionen verursacht. Dann kommt die dezente Nachfrage, ob ich von meinem Freund sprach, also Freund wie fester Freund. Eine kleine Versicherung, ob die anderen sich auch ja nicht verhört haben. Das passiert manchmal.

Ich führe die selben Gespräche, mit den selben Themen. Doch jedes Mal entsteht bei mir eine Pause. Ich habe irgendeine selbstverständliche Norm gebrochen, die aber nicht für mich selbstverständlich ist oder sein kann. Ich kann dieses Gespräch als nicht-hetero Mann* anscheinend nicht führen. Denn ich trage mein Label.

Anscheinend politisiere oder sexualisiere ich plötzlich den Smalltalk. Es ginge ja auch wirklich niemanden an, was ich in meiner Freizeit hinter verschlossenen Türen tun würde. Das seien meine private Angelegenheiten, die ich nicht ständig in die Öffentlichkeit tragen sollte. Und so weiter, und so fort. Ein gewöhnliches Gespräch wird durch eine minimale Änderung absonderlich, anormal.

Wenn ich Glück habe, setzt dann das Gespräch fort. Wenn ich Pech habe, beginnt die Fragerei: „Wie ist das denn bei euch?“ Bei Euch? Ähm, wie bei dir?! Ich lerne Männer* kennen, ich date sie, ich verliebe mich vielleicht, ich habe Sex mit ihnen. Alles nicht so ungewöhnlich, oder? Ich trage augenblicklich das Label: Anders. Egal ob ich will oder nicht. Mittlerweile trage ich es stolz. Die Entgegnung darauf: Du trägst deine Homosexualität wie eine Monstranz vor dir her.

Weißt du was? Fuck you, denn ich werde es nicht tun!

Alle hetero Männer*, die mich mit schwul labeln, gestehen doch nur ein, wie unsicher sie sich ihrer eigenen Sexualität sind.

Über Privilegien, Macht und Homophobie

Nachdem ein junger Mann, weil er mit seinem Freund Händchen hielt, von homophoben Übergriffen berichtete, wollten dem zwei heterosexuelle Männer nachgehen, wie es ist, als offenes schwules Pärchen in der Öffentlichkeit Händchen zu halten.

Die Erkenntnis – oh Schreck: Es gibt sie wirklich diese Homophobie. Einerseits freue ich mich, dass sie versuchen auf Homophobie aufmerksam zu machen. Auf der anderen Seite ärgere ich mich unglaublich über dieses Video. Ich freue mich, dass diese beiden Männer ihre Privilegien nutzen, um zu helfen. Es braucht aber immer noch zwei durch Geschlecht, Hautfarbe und sexueller Identität privilegierten Personen, um dies Glaubwürdig rüber zu bringen. Es schwingt eine Aussage mit, die ich persönlich nur zu gut kenne: Ich bin unglaubwürdig. Ich würde übertreiben und mich viel zu sehr anstellen, wenn ich selber als schwuler Mann auf Homophobie aufmerksam mache.

Häufig schließen sich an diese Aussagen dann noch andere an. Um es völlig absurd zu machen, wird mir zwar abgesprochen, welche homophobe Erlebnisse ich jeden Tag aushalten muss, aber dennoch wird mir die Schuld dafür gegeben. Immerhin hätte ich es – mit Händchenhalten – provoziert. Ich müsse als offen Schwuler damit leben.

Auch vermeintlich aufbauende Sätze wie „Ignoriere die Arschlöcher doch einfach“ sind weniger hilfreich. Für etwas völlig alltägliches immer angegangen, begafft oder ausgelacht zu werden, ist nicht etwas was sich so einfach ignorieren lässt. Und auch nicht etwas was ich ignorieren möchte!

Ja, ich habe eine gefestigte Identität, lebe in Köln, bin groß gewachsen und kann mich verbal wehren. Kurz: Ich kann damit umgehen, und provoziere auch gerne mal. Mir geht es gut, ich kann mit Homophobie halbwegs umgehen. Dennoch erwische ich mich selber immer wieder bei dem Gedanken, mich zurücknehmen zu müssen, wenn es um meine sexuelle Identität geht. Zu sehr ist es verinnerlicht, dass ich aufpassen muss, um mich, andere oder meine Zukunft nicht zu gefährden. Wie viel schlimmer muss es also für all diejenigen sein, die es nicht so leicht haben, wie ich? Die Frage lässt sich wohl leicht beantworten.

Ich kontere bei homophoben Sprüchen gerne schlagkräftig. Ich will zeigen, dass solche Kommentare nicht ungestraft bleiben. Meine Körpergröße schützt mich dabei. Immerhin schinden zwei Meter schon einen gewissen Eindruck – ein Eindruck der mich bis auf zwei Ausnahmen vor körperlichen Auseinandersetzungen bewahrt hat.

Es ist ein Luxus in Köln zu leben, das ist mir klar. Einer Millionenstadt mit einem toleranten Image. Es gibt viele schwule Kneipen und der Anteil an nicht-heterosexuellen Menschen dürfte über dem Bundesdurchschnitt liegen. Dennoch verkennt auch dies, dass es auch hier genauso üblich ist homophob angefeindet zu werden. (Darauf bin ich in einem vergangenem Beitrag genauer eingegangen)

Homophobie ist viel alltäglicher

Es geht hier um ganz selbstverständliche Dinge, wie Händchenhalten. Wenn ich dies mit einer Freundin tue, nehme ich keinerlei Reaktionen wahr. Selten kommen nette Kommentare, wie „Ihre seht sehr süß zusammen aus.“. Warum ist es also was absonderliches und aufregendes, wenn ich mit einem Mann Händchen halte – vom Küssen oder anderen Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit mal gar nicht zu sprechen. Anscheinend wird mir als homosexueller Mann direkt unterstellt, wir würden mitten auf der Straße, vor aller Augen eine wilde Orgie feiern. Selbst darüber könnten wir uns streiten, wie verwerflich das wäre, aber das ist ein anderes Thema.

Allein das Vorkommen der Silbe „Sex“ in sexueller Orientierung oder Identität reicht vollkommen aus, um alle meine Handlungen zu sexualisieren. Oder liegt es an dem Stereotyp, dass Männer nur an Sex denken können? An sich ist es egal, denn es sagt nur aus, dass etwas grundsätzlich falsch in dieser Gesellschaft läuft.

Mit der Gleichberechtigung geht es in Deutschland nur langsam voran. Von Gleichberechtigung bzw Diskriminierung wird meistens nur im Zusammenhang mit der Ungleichstellung in der Ehe und der Adoption gesprochen. Dieses Gezeter verdeckt in meinen Augen vollkommen die alltäglichen Probleme, die nicht-heterosexuelle Menschen aushalten müssen. Die Gleichheit wird doch nicht anhand eines Trauscheines gemessen!

Spontan fallen mir noch viele andere Punkte ein, die wesentlich mehr Beachtung finden müssten und die wichtiger sind als eine staatlich anerkannte Partnerschaft. Homophobie ist viel alltäglicher, viel schwerwiegender, als uns die Berichterstattung und die Mottos der CSD klar machen.

Viel offensichtlicher wird die Homophobie bei den „besorgen Eltern“. Diese unglaublich betroffenen Menschen wettern gegen eine gleichwertige und aufgeklärte Darstellung von allen Lebens- und Liebesformen. Zuletzt am vergangenen Sonntag in Hamburg.

Verdeckt, aber nicht weniger gefährlich, ist die Ex-Gay-Bewegung. Scheußliche „Heilanstalten“, in denen Jugendlichen angeblich von ihrer Krankheit geheilt werden sollen. Anstalten, die weiterhin erlaubt sind, obwohl sie so viel Schaden an den Betroffenen anrichten.

Es gibt keine beziehungsweise keine ausreichenden rechtlichen Möglichkeiten gegen homophobe (sowie transphobe) Beleidigungen vor zu gehen. Anscheinend ist es wichtiger, dass einige Idioten ihre Meinung frei äußern können, als meine Würde als Mensch.

Ebenso wurden Schwule, die bis 1994 nach dem § 175 StGB kriminalisiert und verurteilt wurden, nicht rehabilitiert und entschädigt.

Sicherheitseinrichtungen wie die Polizei sind immer noch nicht ausreichend sensibilisiert. Das mag wohl auch mit Polizist*innen zusammenhängen, die mit dem 175er ausgebildet wurden, aber es fehlt vor allem das Verständnis über homophobe Übergriffe. So werden Angriffe häufiger als Raubüberfälle oder Prügeleien abgetan.

Da wundert es nicht, dass die Selbsttötungsrate bei nicht-heterosexuellen Jugendlichen um ein dreifaches höher liegt, als eben bei heterosexuellen Jugendlichen.

Das sind nur einige Beispiele, die mir spontan einfallen. Die Liste ließe sich verlängern, besonders wenn wir dabei noch auf die Diskriminierung von Transgender, sowie Inter- und Transsexuellen eingegangen wären.

Statt uns über die Ehe zu streiten, sollten wir diese Problematik viel deutlicher nach außen tragen.

Was für heterosexuelle Menschen völlig normal ist und nicht weiter beachtet wird, soll bei nicht-heterosexuellen Menschen absonderlich sein. Und es braucht anscheinend erst zwei heterosexuelle Männer, um es als Homphobie aufzuzeigen.

Schwul heißt radikal – eine Homopropaganda

„Endlich angekommen! Ja, es gibt noch Homophobie. Und rechtlich muss nachgebessert werden. Aber im Grunde geht es uns hier doch ganz gut. Die Ehe wäre noch schön. Und Kinder!“

Das große Ziel ist fast erreicht! Es muss zwar noch an einigen Stellen etwas nachgebessert werden, aber die Grundrichtung stimmt. Plötzlich schließen sich schwul und konservativ nicht mehr aus. Schwul ist nicht mehr gleichbedeutend mit einem grün-links-alternativen Weltbild.

‚Gute Schwule und Lesben dürfen nur links oder grün sein‘: Dieses Dogma ist in der Homo-Welt derzeit am Zerfallen. Ein gutes Zeichen für eine zunehmende Integration homosexueller Menschen.

so scheint David Berger dieses ewige Credo in seiner Kolumne zu unterstützen.

Wir sind gediegen geworden und führen bürgerliche Leben – mit festen konservativen Werten. Aber eben weil wir „angekommen“ und die größten Probleme anscheinend die Gleichberechtigung in der Ehe und beim Ehegatten*splitting sind, ist unser Weg so lange, wie nie zuvor. Die Schwulen sind Heterosexuell (zu dieser Begriffsverwendung am Ende mehr) geworden. Diesem schwulen Konservatismus oder dieser konservativen Homosexualität möchte ich hier widersprechen!

Gute Homos müssen nicht länger nur Grünen-Wähler, Sozis und noch linkere Linke sein, sondern können auch CDU/CSU wählen. Eigentlich nix Neues, aber neuerdings wird das mit besonderer Aggression vorgebracht und mit der Wendung, dass jetzt die “links” wählenden Schwulen die Bösen sind, die eigentlich an allem Schuld sind.

schrieb Rainer Hörmann sehr richtig in seinem Blog über „Konservative Schwule“ als Antwort.

Mittlerweile wird zwischen guten und bösen Schwulen unterschieden – oder genauer formuliert zwischen heterosexuellen Schwulen und homosexuellen Schwulen. Schwule sind anscheinend nur dann willkommen und verdienen Toleranz, wenn sie sich der Gesellschaft anpassen. Solange sie sich gesittet, brav, prüde, leise, weniger auffällig verhalten, bekommen sie gerne ein paar Rechte.

Rosa von Praunheim hat das Dilemma der Schwulen sehr gut beschrieben:

Wir wollten uns emanzipieren und nicht integrieren.

Wir als Schwule haben für unsere Rechte gekämpft, sind mutig und selbstständig geworden. Doch anstatt selbstbewusst unseren Weg weiter zu verfolgen, sind wir in der Gesellschaft aufgegangen und haben ihre Werte übernommen.

Natürlich ist es erst mal egal, wofür vergangene Generationen gekämpft haben. Aber der kleinschrittige Weg über die Anpassung zur Selbstständigkeit ist der falsche Weg. Schwule sind zu politischen und ökonomischen Playern geworden, haben Einfluss gewonnen – aber zu welchen Preis?

Hetero das neue Homo – oder: Homophobe Homos

Mittlerweile scheint es nichts besseres zu geben, als mit dem angetrauten Ehemann und adoptierten Kindern in der schönen Doppelhaushälfte monogam zu leben. Doch dieses vegetieren heißt nicht, dass wir endlich die Gleichberechtigung erreicht haben. Es zeigt lediglich, dass wir unsere Werte verraten haben und zu dem geworden sind, was wir bekämpfen wollten: Heterosexuell!

Wir haben uns verkauft. Bettelnd auf den Knien haben wir jede rechtliche Almose geschluckt und mit ihnen alle heterosexuellen Werte der Diskriminierung und Ausgrenzung. Wir sind in einer Gesellschaft aufgegangen, die sich durch Ausgrenzungsformen definiert und stabilisiert. Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie, Zweigeschlechtlichkeit, Monogamie, … Einer Gesellschaft mit engen Schubladen und Rastern, die alle verstößt, die ihren Regeln nicht folgen wollen.

Wir haben diese Werte anscheinend so tief verinnerlicht, dass schwule mittlerweile selber homophob und sexistisch sind.

So werden Schwule nach ihrem Aussehen und Auftreten in eine männliche oder weibliche Rollen gedrängt, die angeblich auch Aussagen über ihre sexuellen Präferenzen ausdrücken. Eine große, breite, maskulin auftretende Person kann demnach nur den aktiven sexuellen Part übernehmen.

So werden nicht-maskuline Schwule gerne als Tucken oder Tunten bezeichnet, die nur mit ihrer Homosexualität kokettieren. Sie werden als laut, schrill, albern und überspitzt bezeichnet. Der größte Feind der Gleichberechtigung wird in ihnen ausgemacht, weil sie mit diesem vermeintlich peinlichem Verhalten die Gesellschaft nur abschrecken und Stereotype bestätigen.

50 weitere Beispiele lassen sich hier bei Queer GEIST e.V. finden.

So weit sind wir also schon gekommen. Wir diskriminieren uns selber, um ein paar weitere rechtliche Almosen zu bekommen. Aber wir stehen nicht zu uns, und kämpfen für unsere Werte!

Schwul heißt radikal – oder: Homo heißt Anti-Hetero

Doch was sind schwule Werte? Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Feststeht aber, es geht darum frei über sein Leben entscheiden zu können. Ohne sich für sein gewähltes Lebensmodell rechtfertigen zu müssen oder für seine Lebensweise abgewertet zu werden. Sowohl von staatlicher wie auch von gesellschaftlicher Seite.

So trivial es zunächst scheinen mag, bedeutet dies die freie Wahl bei der Liebe und beim Sex. Die freie Wahl für das gleiche Geschlecht, aber auch die freie Wahl für beide, für gar keines, für ein anderes Geschlecht. Kurzum: egal mit wem, solange es einvernehmlich zwischen Erwachsenen stattfindet.

Aber nicht nur die Auswahl mit „wem“ ich Sex haben möchte, sondern auch das „wie“ gehört dazu. Abseits der verkalkten Sex-Normen gibt es unendlich viele Vorstellungen und Vorlieben. Ob SM, DWT, BDSM, Gruppen, liebevoll oder hart, … – Hauptsache alle haben Spaß. Und sind Missionarsstellung und Doggystyle auf Dauer nicht auch langweilig?

Es bedeutet mit der Zweigeschlechtlichkeit aufzubrechen. Sich von Vorstellungen von typisch männlichem und typisch weiblichem zu lösen und somit das ganze Repertoire an Verhaltensweisen und Kleidungen nutzen zu können. Freier zu entscheiden, ob nicht ein weicheres Auftreten oder Pumps und Lidstrich viel besser zu einem passen. Es gibt so viel mehr und so vieles zu entdecken, warum sich also selber künstlich einschränken?

Mit der Zweigeschlechtlichkeit brechen heißt aber auch, mit der rigiden Beziehungsform der Monogamie zu brechen. Besonders hier muss nicht nur die gesellschaftliche sondern auch die staatliche Deutungsmacht abgeschafft werden. Es geht darum Möglichkeiten aller Art des Zusammenlebens zu schaffen und gleichwertig nebeneinander zu stellen. Die Leute sollen leben, wie sie sich wohl fühlen, ob in dreier Beziehungen, polyamoren oder polygamen Beziehungen, offenen oder geschlossenen.

Das sind nur einige Beispiele. Die Liste ließe sich wohl viel weiter ergänzen. Ausschlussmechanismen wie Sexismus, Homo- und Transphobie, Ableismus, Lookism, Rassismus, soziale Diskriminierung, etc. sollen gebrochen werden. Denn es geht nur um eine Botschaft: Sei glücklich, wie du bist und lebe es!

Heute zeigt sich, dass die schrittweise Anpassung ein Fehler gewesen ist. Deswegen müssen wir unsere Rechte einfordern, gegenüber dem Staat und der Gesellschaft. Schwul kann niemals konservativ oder gar rechts sein. Wir wollen mit den heterosexuellen Normen brechen, wir wollen ein freies Leben. Deswegen heißt schwul immer radikal.

Bemerkung:

In diesem Beitrag soll nicht über einzelne Lebensmodelle gewertet werden. Die vorherrschenden Vorstellungen und Normen, mit ihren hegemonialen Ansprüchen, sollen hier angegriffen werden. Es muss endlich eine echte Entscheidungsfreiheit gelten, ohne gesellschaftlich-heterosexuellen Normen, die andere Lebensweisen abwerten. Und ohne staatlichen Normen, die sich in persönliche Lebensentscheidungen einmischen und die vorherrschenden Normen zementieren. Der Staat muss unterstützen freien Entscheidungen treffen zu können. Es muss eine Entscheidung ohne Zwang geben.
In diesem Zusammenhang wird mit „heterosexuell“ nicht das Individuum mit der sexuellen Identität „heterosexuell“, sondern heterosexuelle Werte und Normen, kurz die Normen der Gesellschaft, angegriffen.

Antifa ist nicht in der Krise

In den 1990er Jahren entstanden in allen deutschen Bundesländer Antifa-Gruppierungen, darunter 1993 eine der bekanntesten und mitgliederstärksten, die „Antifaschistische Aktion Berlin“ (AAB). Nach deren Zersplitterung ging die „Antifaschistische Linke Berlin“ (ALB) 2003 als ihre direkte Nachfolgerin hervor. Im April dieses Jahres fand an der TU Berlin der Kongress „Antifa in der Krise?“ statt, anscheinend ohne großen Erfolg. Denn Anfang dieser Woche löste sich die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) auf. Mit der ALB geht eine wichtige und lange Zeit prägende Akteurin der außerparlamentarischen, radikalen Linken.

Danke, ALB! Ihr habt Großes vollbracht.

Antifa ist nicht in der Krise

In der Presse und der medialen Nachschau zur Auflösung, wird nun immer wieder auf diesen Kongress angespielt: Die „Antifa in der Krise“. Diesem fast einhelligem Credo möchte ich, in diesem Beitrag zur Diskussion, widersprechen. Nicht die Antifa ist in der Krise, sondern die großen Gruppierungen, die wir bisher als Antifa identifiziert haben. Die durch die 90er Jahre geprägten Gruppierungen, die dem Neonazismus den Kampf angesagt haben, befinden sich in einer Sinneskrise. Auch wenn ich das Modewort „Krise“ hier nicht angebracht finde.

Eine typische bis stereotypische Gruppierung löste sich auf. Sie – und einige andere – haben das (öffentliche) Bild „der“ Antifa geprägt und wurden häufig stellvertretend für die ganze Szene wahrgenommen. Daraus aber auf eine Krise der Szene zu schließen, ist ein Irrtum.

Die bekannten antifaschistischen Gruppierungen haben ironischerweise ein typisch deutsches Problem, die Spezialisierung und Fokussierung auf die organisierte Rechte. Auch wenn eine wichtige und gute Aufklärungs- und Dokumentationsarbeit von diesen Gruppierungen übernommen wurde, handelte es sich – in meinen Augen – schlicht um eine Symptombekämpfung.

Die tatsächliche Ursache liegt in einer ausgeprägten Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in der ganzen Gesellschaft. Einer Gesellschaft aus der wir alle kommen, aber auch eine Gesellschaft die rassistische Grundtendenzen aufweist. Diese Grundeinstellung wird jedoch nicht angegangen, sondern lediglich der manifestierte und leicht sichtbare Rassismus der organisierten Rechten. Die antifaschistischen Gruppierungen haben dies zu spät realisiert und den Anschluss verpasst. Nicht ohne Grund verpassten sie es, adäquat Gegenstrategien beispielsweise gegen eine AFD zu entwickeln.

Es ist Zeit für die nächste Generation

Die ideologisch durch die 90er Jahre geprägte Antifa – im Zweifel mit den selben aktiven Personen – hat es nie wirklich zu einer Entwicklung ihrer Theorien geschafft. Stattdessen fraßen kräftezehrende Konflikte das Potential, eine Erneuerung zu ermöglichen. Diese selbst-zerfressende innere Reibung, die sich an (dogmatischen) Konfliktlinien aus den 90er Jahren orientiert, ist immer noch verhaftet. Viele Antifa-Gruppierungen sind zu verkrustet für neue Ideen und schrecken Jugendliche im doppelten Sinne ab, sich und ihre Ideen einzubringen.

Was ist mit den vielen kleinen, jungen, weniger bekannten, nicht-organisierten, undogmatischen Antifa-Gruppierungen, die nichts mit den verkrusteten Ideen zu tun haben wollen? Sie werden im Schatten der ALB und anderen nicht wahrgenommen. Vielleicht ist es ganz gut, dass die großen, altbewährten Gruppierungen und Bündnisse nun zerbrechen. Es ist Zeit für eine nächste, eine neue Generation.

Klein statt groß

Derzeit prägen große Bündnisse, mit großen Kampagnen und Großdemonstrationen, das sichtbare Agieren dieser Antifa-Gruppierungen. Doch in meinen Augen sind die Zeiten von Großdemonstrationen vorbei. Für die heutige Jugend steht das individuelle Handeln, das persönliche Eintreten im Mittelpunkt ihres Ungehorsames und Aufstandes. Keine Faust aus fünf Fingern, sondern einzelne Nadelstiche. Es ist wichtig, dass die Antifa endlich wieder in die Gesellschaft und in den Alltag hineinwirkt, um so eine Änderung herbeizuführen. Die Zeit der sorgfältig und lang geplanten, fein durchchoreographierten und penibel genau durchgeführten Groß-Aktionen ist vorbei. Die Antifa muss Handlungsanleitungen entwerfen, Beispiele setzen, als Vorbild vorausgehen. Sie soll nicht mehr der Mittelpunkt des Widerstandes sein und steuern, sondern eine Unterstützung für Individuuen leisten.

Kleine Gruppen, autonom agierend, im Alltag, in der Gesellschaft. Nur so können wir Rassismus und andere Formen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bekämpfen.

ALB ihr habt Großes vollbracht. Danke! Aber nun ist es Zeit für die nächste Generation, die nicht den Anspruch hat, groß zu sein.

Tödlicher Schrank? Welche Verantwortung haben wir?

Anfang Mai habe ich über den gesellschaftlichen Einfluss auf meine sexuelle Identität gebloggt.

Meine Homosexualität ist von einem eher belanglosem Teil meinerselbst zum Kern meiner Identität geworden. Ich werde darauf reduziert, ich werde deswegen diskriminiert (auch vom Staat) und angefeindet.

schrieb ich unter dem Titel Ich wurde schwul gemacht. Innerhalb weniger Tage wurde dieser Beitrag fast 900 mal aufgerufen, und auch jetzt wird er fast täglich einige Male gelesen. Ich war lange wegen dieser unglaublichen und nicht erwarteten Resonanz sprachlos und habe mich unglaublich über das massive positive Feedback gefreut. An dieser Stelle möchte ich mich dafür bedanken.

Auch hier kann ich wiederum den Fokus nur auf das Schwulsein lenken, weil es meine gewählte Selbstdefinition ist. Mein Outing dazu, genauer gesagt, die Geschichte zu meinem Outing, erzeugte ein ungeheuerliches Interesse. Auch generell hat diese Thematik eine gravierende Bedeutung in der schwulen Kultur, das zeigen so viele Bücher und Filme, die sich genau darum drehen. Unsere Sexualität wird durch die Gesellschaft zum elementaren Bestandteil unserer Identität gemacht.

Ich habe mir lange Zeit gelassen, mich dazu zu äußern. Ich musste mir viele Gedanken gemacht. Denn zeigt dies nicht, welche Verantwortung wir haben? Resultiert nicht eigentlich die Notwendigkeit daraus, dass wir aufzeigen, wie alltäglich und gewöhnlich Homosexualität ist und wie sehr sie zur Normalität gehört?

Ende Juni 2013 sorgte ich – zum Teil zurecht – mit einer provokanten These für viel Unmut in den sozialen Netzwerken. Jetzt möchte ich diese These wieder als Anlass für einen Diskussionsanstoß nutzen. Es soll diskutiert werden, welche Verantwortung wir als Schwule tragen. Dabei belasse ich es bewusst bei der provokanten These:

Leute, die ihre Homosexualität verstecken, sind mitschuldig an Homophobie und Selbstmorden, denn sie leben nicht vor, wie normal es ist.

Vorweg aber eine Klarstellung: Die Verantwortung für Selbstmorde von nicht-heterosexuellen Jugendlichen, der Diskriminierung und Anfeindungen tragen die Menschen, die homophobe Äußerungen tätigen oder sich homophob verhalten! Die nachfolgende Verwendung von Verantwortung bezieht sich deswegen auf unsere Verantwortung als Schwule für die commuity, für andere nicht-heterosexuelle Menschen! Ich möchte über die „positive Verantwortung“ streiten, denn die Täter*innen der „negativen Verantwortung“ sind klar und nicht wegzudiskutieren.

Outing im ursprünglichem Sinne

Der Begriff des Outings kam in den 1980er in den USA auf und wurde in den 1990er als Kampfbegriff in Deutschland übernommen. Im ursprünglichem Sinne bezeichnet das Outing keinen bewussten Prozess der betroffenen Person, sondern ein fremdbestimmtes Zwangsouting, vor allem von Personen des öffentlichen Lebens. Diese Praxis entstand im Zuge der AIDS-Krise und des Act-Up-Movements (AIDS Coalition to Unleash Power). Act-Up trat aktiv gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV bzw. AIDS ein, von der besonders die schwule community betroffen gewesen ist. Wegen dieser Konzentrierung von HIV-Infizierten bei homosexuelle Männern, wurde HIV auch als die „schwulen Krankheit“ bezeichnet, auf Grund dessen sich politisch eine anti-schwulen Front heraus bildete.

In Deutschland outete 1991 Rosa von Praunheim Hape Kerkeling und Alfred Biolek in der RTL-Fernsehtalkshow „Der heißer Stuhl“, mit dem Ziel Aufmerksamkeit auf das Thema AIDS zu lenken, und Schwule darüber hinaus aus dem Stigma des HIV herauszuholen. In einem Interview verteidigte von Praunheim 2009 sein Handeln:

Das Outing war eine dringend notwendige politische Aktion im Angesicht des Todes von vielen Freunden. Ein verzweifelter Aufschrei in der Aids-Krise. […] Bekennt euch zu eurem Schwulsein! Als Schwule hatten sie eine besondere Verantwortung, weil es in unserer Community die meisten HIV-Positiven gab. […] Stünden sie [Hape Kerkeling und Alfred Biolek, A.d.A.] selbstbewusst zu ihrer Sexualität, steigerte das ihre Popularität. Und die Gesellschaft sähe Homosexuelle mit anderen Augen und verfolgte das Thema Aids mit größerer Aufmerksamkeit.

Das Outing oder genauer gesagt das Zwangsouting entstand in einer Zeit der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Endlich sollte die tödliche Krankheit gesellschaftlich und politisch beachtet werden. Endlich sollte das Bild des Schwulen von der Krankheit losgelöst werden. Dabei wurde das Outing ausdrücklich nicht als Verleumdung verstanden, sondern als offensiver emanzipatorischer Schlag. Es sollten prominente role model geschaffen werden, um jugendliche Homosexuelle zu unterstützen, damit sie ein Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein entwickeln könnten.

Mit den öffentlich durchgeführten Outings von Rosa von Praunheim wurde in Deutschland ein Diskurs angestoßen, der nachweislich das gesellschaftliche Bild von Schwulen positiv besetzt hat und die Akzeptanz von Homosexualität stärkte.

Fahrlässiger Egoismus?

Trotz aller Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten erreicht wurden, sind hate crimes, Diskriminierung und Ausgrenzung gegenüber nicht-heterosexuelle Menschen noch alltäglich. Erhöhter Stress, Druck und Angst sind die Folgen, die unter anderem dazu führen, dass nicht-heterosexuelle Jugendliche drei- bis fünfmal häufiger Selbstmord begehen.

Einsamkeit, fehlender Lebenssinn und Schmerz sind starke Gefühle, die eine solche Verzweiflung hervorrufen müssen, dass die einzige Erlösung im Selbstmord gesehen wird. Natürlich sind alle Todesfälle tragisch. Ein Selbstmord ist aber eine Katastrophe. Ich frage mich in welch einer Gesellschaft leben wir denn bitte, dass es dazu kommen kann?

Anfangs sprach ich von Verantwortung. Die Schuld tragen selbstverständlich die Menschen, die ein solches gesellschaftliches Klima tolerieren oder es gar befeuern. Aber haben wir nicht alle, nicht nur für uns, sondern auch gegenüber anderen eine Verantwortung? Eine gestalterische und keine destruktive Verantwortung. Müssen wir Homosexualität nicht alltäglich machen und als Vorbilder voran gehen? Müssen wir nicht zeigen, dass es möglich ist?

Ja, diese Verantwortung haben wir. Natürlich sind Outings nicht einfach. Sich und Anderen einzugestehen nicht normal zu sein, ist niemals einfach. Denn machen wir uns doch nichts vor, was anderes bedeutet es nicht, sonst wäre es nicht nötig. Natürlich führt es zu Veränderungen. Natürlich kann es zu Ablehnung führen. Natürlich können daraus Nachteile entstehen. Natürlich kann daraus eine Bedrohung resultieren. Natürlich kann es ein schwerer Weg sein.

Aber reproduziert die Selbstverleugnung nicht das System? Wird nicht mit der Selbstverleugnung eine Gesellschaft geschaffen, die keinen Deut besser ist, als die Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind? Eine Gesellschaft, die Jugendliche in den Selbstmord treibt. Das sie so verzweifeln lässt, dass sie bereit sind ihr Leben zu nehmen.

Ich nenne das puren und fahrlässigen Egoismus! Nur wegen eines vermeintlich bequemeren Lebens, wegen Angst vor potentiellen Nachteilen, wegen Sicherung von Aufstieg und Luxus? Ist es, wenn wir ehrlich sind, nicht einfach nur Angst?

Einer meiner Ex-Freund hatten eben diese Angst auch sehr tief verinnerlicht. Die große Angst auf Ablehnung zu stoßen. Einmal outete er sich bei weiteren Arbeitskolleg*innen. Die Reaktion? Ein Lachen und ein Achselzucken, und weiter ging es im Gespräch. Das Gesicht meines Ex-Freundes war großartig, es spiegelte nur vollkommene Fassungslosigkeit wieder. Dies hatte er nicht erwartet, weil er sich über die Jahre selbst in die Angst rein gesteigert hatte.

Anstatt mit den drei einfachen Wort „Ich bin schwul!“ ein Statement zu setzen und seinen ganz persönlichen Einfluss auszuüben. Die drei Worte, die effektiver sind, als alles Geld der Welt. Drei Worte, die einen selbst bewegen, aber auch die Menschen bewegen, die einem nahe sind und die einen lieben.

Ein Outing ist niemals leicht! Ja! Aber haben wir nicht die Verantwortung und gemeinsam die Kraft, zu zeigen, dass sie nicht alleine sind? Zu zeigen, dass es besser wird? Zu zeigen, dass sie ihre Potentiale nur voll entfalten können, wenn sie sich nicht verstecken? Zu zeigen, dass es was völlig normales und alltägliches ist? Doch diese Verantwortung haben wir! Denn nur so können wir unschuldige nicht-heterosexuelle Jugendliche davor schützen, sich einsam zu fühlen, zu verzweifeln. Jede Person, die sich versteckt, ist eine Person weniger, die als gutes Beispiel voran geht und jungen, homosexuelle Menschen zeigt, dass es völlig in Ordnung ist, dass sie schwul sind. Und deswegen sind wir nicht nur verantwortlich uns zu outen, sondern deswegen ist es unsere Pflicht uns zu outen!

Ihr seid nicht alleine!

All ihr im Schrank lebenden, ihr seid nicht alleine! Es ist keine Schande Angst zu haben, denn es ist immer noch ein gravierender Schritt. Angst ist etwas vollkommen menschliches. Aber wir müssen uns dieser Angst stellen. Es gibt uns, die wir öffentlich schwul leben. Unsere Aufgabe und Verantwortung als geoutete Schwule ist es, für euch da zu sein und euch zu unterstützen. Es gibt wunderbare Programme wie SchLAu und ES WIRD BESSER, die aufklären und zeigen, dass ihr nicht alleine seid und es besser wird.

Wir sind als Schwule, als Nicht-Heterosexuelle für einander verantwortlich.

„All ihr homophoben Vollidioten, all ihr dummen Hater
All ihr Forums-Vollschreibeer, all ihr Schreibtischtäter
All ihr miesen Kleingeister mit Wachstumsschmerzen
All ihr Bibel-Zitierer mit euer’m Hass im Herzen
All ihr Funktionäre mit dem gemeinsamen Nenner
All ihr harten Herdentiere, all ihr echten Männer
Kommt zusammen und bildet eine Front
Und dann seht zu was kommt“ – Marcus Wiebusch

Lasst uns auf den CSD feiern!

Es ist Sommer. Und das heißt es ist CSD-Saison! An diesem Wochenende findet die große CSD-Parade in Köln statt. Doch mit der CSD-Saison beginnt auch das übliche Genöhle. Alle Jahre wieder die selbe alte Leier: Der CSD sei zu unpolitisch, es handele sich bloß um eine pure Fleischbeschauung, das sei doch nur eine große Party. Es würden doch nur Klischees gegenüber Homosexuellen (auf die meist alle LSBTTIQ* reduziert werden) bestätigt und somit allen Homophoben einen guten Nährboden geben.

Saufen. Party. Ficken. Na und?

Ich habe das mal ähnlich gesehen und mich über die ganzen unpolitisch „Partyhuschen“ aufgeregt, die keine Ahnung von dem haben, was vergangene Generationen von Nicht-Heterosexuellen zum Teil mit ihrem Blut erkämpft haben und wofür viele immer noch für streiten. Die aber nur dem Dreiklang folgen: Saufen.Party.Ficken. Mittlerweile habe ich eine differenzierte Sicht auf den CSD.

Die meisten CSDs haben tatsächlich einen hohen Entertainmentfaktor. Spaß und Feiern steht häufig sehr zentral. Für einige zu unpolitisch, für andere zu nervend. Doch wird eines immer vergessen: Es kommt zu einer Inanspruchnahme des öffentlichen Raums.

Ich erinnere mich zu gut, an meinen ersten CSD. Es war heiß und die Sonne brannte. Doch es war eine lockere ausgelassene Stimmung. Es war ein Tag an dem mir nicht immer wieder das Gefühl gegeben wurde, dass ich komisch und anormal sei. Es war egal wie ich rumlief, egal was ich angezogen hatte, egal mit wem ich Händchen hielt. Es war ein Tag, an dem gefeiert wurde.

So einen Tag gönne ich auch anderen jungen und verunsicherten LSBTTIQ* Jugendlichen. Viele können endlich schüchtern aus ihrem Schrank heraustreten und für einen Tag sie selbst sein. Es wird ein Raum geschaffen, in dem ein anderes Klima herrscht. Ein Raum, indem es plötzlich nicht mehr anormal ist nicht-heterosexuell zu sein. Es ist ein Tag an dem alle diejenigen, die sonst ihre Zeit im Schrank verbringen, sich ihrer Identität bewusst werden und ihr Selbstbewusstsein stärken können. Wir als geoutete und selbstbewusstere Nicht-Heterosexuelle sollten jetzt nicht verächtlich über andere richten, sondern ihnen diesen einen Raum geben.

Der CSD ist queer und nicht homosexuell!

Doch noch viel mehr ist es ein deutliches Signal an die Gesellschaft. Auch wenn es vom Partyvolk nicht beabsichtigt ist und die meisten es sich wohl nicht bewusst sind:
Die CSDs schaffen Sichtbarkeit!
Sichtbarkeit, dass es mehr als nur Heterosexualität gibt.
Sichtbarkeit, dass es auch noch mehr als Homosexualität gibt.
Sichtbarkeit, dass es mehr als Männer* und Frauen* gibt.
Ganz nach dem Motto: „We’re Here! We’re Queer! Get used to it!“

Latex, Lack und Leder, Sklaven, nackte Ärsche – alles nur ein großer Porno! Empörend wird ausgerufen: „Das muss nicht sein! Welches Bild soll denn bitte entstehen?!“

Sich zur Nicht-Heterosexualität zu outen, heißt mit Normen brechen. Also dem Nicht-Befolgen von üblichen gesellschaftlichen Handlungsweisen. Warum sollen dann nicht gleich auch noch andere Normen über Bord geworfen werden?

Der CSD ist queer und nicht homosexuell. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die Community ist wie die Regenbogenfahne. Sie ist nicht nur schwarz-weiß, sie ist bunt und vielfältig. Das mag nun sehr pathetisch klingen, aber ich finde es immer einen schönen Vergleich. Es gibt eben nicht nur Homo- und Heterosexualität. Nicht nur männlich und weiblich. Nicht nur Doggystyle oder Missonarsstellung. Das wird häufig vergessen.

Wir müssen wie die Regenbogenfahne sein, zusammenstehen und ein Zeichen setzen. Dafür sind die CSD-Paraden da. Es gibt eben nicht nur die verspießten Homosexuellen, die sich dermaßen an heteronormativen Verhaltensweisen klammern, dass mensch meinen könnte, sie wären lieber heterosexuell. Ob aus politischen Gründen oder nicht – ich darf meinen Arsch zeigen, wenn ich möchte!

Akzeptanz und Toleranz heißt begrüßen!

„Aber ich mag das doch auch bei Heterosexuellen nicht“ ist das vermeintlich ultimative Gegenargument  in persönlichen Gesprächen, Talkshows oder politischen Diskussionen. Mein Lieblingsargument zeigt aber nur eines: Es wurde nicht verstanden was Toleranz und Akzeptanz bedeuten. Nämlich, dass hinzunehmen und zu begrüßen, was angeblich gesellschaftlich nicht normal ist und eventuell auch nicht gemocht wird.

Sollen Toleranz und Akzeptanz also nur all diejenigen bekommen, die sich genauso heterosexuell und spießig verhalten, wie der Rest der Gesellschaft? Und eben diejenigen nicht, die sich nicht „mainstream-normal“ verhalten? Dann brauchen wir auch keine Toleranz und Akzeptanz!

Ja, die CSDs müssen politischer werden. Ja, es müssen wichtige Punkte thematisiert und eingefordert werden. Aber auch: Ja, wir müssen auf den CSD-Paraden dabei sein! Wir müssen ein Vorbild sein und vorweg tanzen! Uns feiern! Dass wir am Leben sind und hier recht gut leben können!

Lasst uns feiern!

Ich wurde schwul gemacht

Eigentlich wollte ich nur meinen Unmut kundtun, den die aktuelle Debatte oder eher die Beleidigungen zum Thema Homosexualität in mir auslösen. Ich wollte mich eigentlich nur gepflegt aufregen und meinen Senf dazugeben, weil ich die erneute Diskussion nicht führen wollte. Es gab in den vergangenen Wochen einige gute Beiträge und daher sollte es nur ein kurzer, bündiger Text werden. Doch stattdessen wurde er immer persönlicher und länger. Vielleicht schafft es dieser Text die Diskussion von der abstrakten auf die persönliche Ebene herunter zu brechen. Denn es geht zu schnell unter worum es hier wirklich geht, um Menschen mit Persönlichkeiten. Der provokante Titel umschreibt es dabei sehr gut, wie aus einem belanglosem Detail meinerselbst ein fundamentaler Eckpunkt meiner Persönlichkeit geworden ist.

Auch wenn es mich stört, dass sexuelle Identitäten, neben der Heterosexualität, in der aktuellen Debatte, wie so oft, lediglich auf die Homosexualität (und dabei wiederum auf die männliche) reduziert wird. Das verkennt, dass es viele weitere Formen der sexuellen Identitäten gibt. Ich werde hier leider auch nur vom Schwulsein reden, weil ich mich selber als schwul definiere und ich nicht von und über Erlebnisse Anderer berichten kann. Deswegen hier ein ganz persönliches Plädoyer über meine Homosexualität.

Für mich war es rückblickend betrachtet eigentlich immer eine Selbstverständlichkeit schwul zu sein; es war für mich nie etwas besonderes dabei. Dazu muss gesagt sein, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der es nie ein großes Problem gewesen ist und nie groß thematisiert werden musste. Zudem bin ich in einer Großstadt geboren und lebe heute noch immer hier, um genauer zu sein in Köln. Kurzum ich hatte immer den Luxus in einem doch recht toleranten und akzeptierenden Umfeld aufgewachsen zu sein.

Ich habe mich nie wirklich geoutet – es gab auch nie die Notwendigkeit dazu. Meine Familie erfuhr es, als ich an einem Geburtstag mit meinem ersten Freund bei mir Zuhause schlief. Damit hatte ich alles gesagt, es brauchte kein peinliches Gespräch, keinen großen Mut. Sondern einfach nur meinen damaligen Freund, der selbstverständlich am Morgen mit mir im Bett lag und aufstand. Ich habe lange nicht verstanden was es bedeutet sich zu outen und auch nie die Notwendigkeit darin gesehen. Denn ich habe mich nie besonders, anderes oder abnormal gefühlt. Ich sah es nicht – und sehe es heute immer noch nicht – ein, mich deswegen ständig zu rechtfertigen. Wer sich outet, kokettiert doch nur mit seiner Homosexualität, möchte besonders auffallend und schrill sein. Ich wurde seitdem eines anderen belehrt. Doch beginnen wir am Anfang.

Ich habe recht schnell gemerkt, dass ich nicht an Frauen sondern an Männern (sexuell) interessiert bin. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich es eigentlich schon immer gewusst habe, schwul zu sein. Doch habe ich mich lange nicht mit dem Gedanken beschäftigt. Meine Sexualität war nie ein großes Thema. Ich begann erst nach der Pubertät, und als ich begann auszugehen, mir darüber Gedanken zu machen. Die Gespräche im Freundeskreis begann sich plötzlich um Mädels zu drehen und die ersten meiner Freunde führten ihre ersten Beziehungen. Erst da wurde meine sexuelle Identität ein Thema für mich. Zunächst habe ich mich neutral bei dem Thema Mädchen gegeben. Dann begann ich zu hoffen und mir einzureden bisexuell zu sein. Glücklicherweise eine kurze Phase. Dazu hatte wohl eine gewisse Ahnungslosigkeit geführt. Denn als ich bald drauf begann mich politisch zu engagieren, wusste ich, dass ich auf Männer stehe und dass es was vollkommen normales ist. Erklärend muss ich hier anführen, dass ich durch die neue Aktivitäten neue Menschen kennenlernte, von denen einige selbstverständlich schwul gewesen sind.

Bald darauf „outete“ ich mich in meinem Freund*innenkreis. Das heißt, dass Freund*innen mich ansprachen, ob ich denn schwul sei, weil ich keine Freundin und kein übersteigertes (sexuelles) Interesse an Frauen hatte. Eine kurze Frage, eine kurze Antwort und fertig. Alles kein Problem. Es wurde selbstverständlich angenommen und es wurde sich gefreut, dass ich dazu stehe. Ab und an wurden Scherze gemacht, aber das war normal, denn es wurde über alles gescherzt, egal ob homo- oder heterosexuell.

Ich war normal, es war ein belangloser Fakt, dass ich nicht heterosexuell bin. Außer einigen kurzen Fragen, war es nie ein Thema. Warum sollte es auch?! Aber je länger ich dazu stand, wurde ich plötzlich anormal und krank.

Ich brauchte eine Weile zu realisieren, dass diese Selbstverständlichkeit von vielen Menschen nicht geteilt wurde. Bei meinem ersten CSD scherzte ich über die unglaublich vielen Menschen mit Headsets und Funkgeräten. Da wollten sich ein paar Leute wichtig fühlen und ganz besonders sein. In meiner Ignoranz war mir nicht klar, dass um das Straßenfest im Bermudadreieck überall Sicherheitspersonal stand. Dass sich Baseballschläger und Pfefferspray in den Kneipen unter der Theke befindet. Dass die Polizei regelmäßige Streifen vorbeischickt. Dass „Schwulenklatschen“ immer noch ein beliebter Sport ist. Das Fest der regenbogenfarbenden Akzeptanz in der achso toleranten Stadt Köln, umgeben von einem feinmaschigem Sicherheitsnetz.

Viel alltäglicher sind die abschätzigen Blicke, wenn ich Händchen haltenden mit einem Mann durch die Stadt gehe. Die entwertenden Sprüche auf der Straße wenn ich meinen Freund flüchtig küsse. Die Drohungen nach dem gegenseitigem Berühren. Oder einfach die tatsächlichen gewaltsamen Übergriffe – denen ich persönlich glücklicherweise erst zweimal ausgesetzt gewesen bin, denn hier schützt mich wohl meine Körpergröße von zwei Metern, die genug Eindruck erweckt, sodass sich die Übergriffe meist „nur“ auf einer verbalen Ebene bewegen.

Aber das sind nur meine Erlebnisse. In meinem Freund*innenkreis befinden sich Menschen, die von ihren Eltern in grausamen „Heilanstalten“ gesteckt wurden, mehrmalig gewaltsame Übergriffe erlebt haben, verspottet und Ausgegrenzt wurden. Es gibt genug Berichte über eine dreifach höhere Selbstmordrate bei nicht-heterosexuellen Jugendlichen.

Meine Homosexualität ist von einem eher belanglosem Teil meinerselbst zum Kern meiner Identität geworden. Ich werde darauf reduziert, ich werde deswegen diskriminiert (auch vom Staat) und angefeindet.

Normalerweise wissen alle Menschen recht schnell, dass ich schwul bin. Entweder weil ich es nebenbei erwähne oder ihnen unter die Nase reibe. Dieser offensive Umgang mit meiner Sexualität ist zu meinem Schutzpanzer geworden. Die Fakten liegen klar und unmissverständlich auf dem Tisch, wem sie nicht gefallen, kann mich in Ruhe lassen. Ich biete keine Angriffsfläche, weil ich keine Schwäche zeige. Trotz der Konsequenzen.

Dies ist mein Umgang mit meiner manchmal gefühlt abnormen Sexualität. Ich sehe es nicht ein, mich zu verstecken oder in den Schrank zu flüchten, der niemals meine Heimat gewesen ist. Es ist mein Weg, mit dem ich sehr glücklich bin. Nur deswegen ist er aber nicht der beste Weg für alle. Ich habe viele Jugendliche gesehen, denen es Stärke und Mut gegeben hat, sich zu outen. Die sich nicht für und vor anderen geoutet haben, sondern die sich für sich geoutet haben, weil die Gesellschaft ihnen suggeriert hat, dass ihre Sexualität eine Perversion ist.

Deswegen reagiere ich bei der aktuellen „Debatte“ allergisch und kaum rational. Denn wenn immer homophoben Arschlöchern eine Bühne gebotet wird, werden nicht-heterosexuelle Jugendliche verletzt und ermordet.

„Before you echo ‚Amen‘ in your home or place of worship, think and remember a child is listening.“ – Mary Griffith

Liebe*r PVV-Wähler*in

Am 15. März wendete sich Tofik Dibi, ein ehemaliges Mitglied der Tweeden Kamer (Niederländisches Parlament) von GroenLinks, mit einem Brief auf seinem tumblr-Blog an Wähler*innen der PVV.

Ich finde es einen beeindruckenden Brief, weil er auf Sorgen eingeht, aber sehr klar benennt, was es bedeutet eine rassistische Partei zu wählen. Vor allem im Hinblick auf die anstehenden Kommunal- und Europawahl ist dieser Brief auch auf Deutschland übertragbar, ob auf Pro NRW, Die Freiheit, NPD und in Teilen auch die AfD.

Endlich habe ich nun die Zeit gefunden, diesen Brief in deutsche zu übersetzen. Bittet entschuldigt, dass der Brief nicht eins-zu-eins übersetzt ist, sondern in einigen Fällen nur sinngemäß. Das Original findet ihr hier.

 

Liebe*r PVV Wähler*in,

was ist viel über dich gesprochen und debattiert worden. Was haben politische Parteien, ohne Ausnahme, ihr bestes gegeben, um deine Sorgen zu begreifen. Und was ist dir häufig nach den Mund geredet worden.

Du sollst ein Opfer von „Globalisierung“ sein, die deine Lebensumgebung radikal verändert hat. Du sollst unter den maßlosen europäischen Bemühungen in deinem täglichen Leben leiden. Du sollst konstant durch Marokanner*innen bedroht werden. Muslime wollen dich beherrschen. Und zu allem Überfluss an Katastrophen, kommen da auch noch die Bulgar*innen, Rumän*innen und Pol*innen dazu. Mit fünfzehn pro Einfamilienhaus.

Welche Probleme du auch in deinem eigenen Leben erfährst, du hast – auch durch linke und rechte Politik, getrieben durch hungrige Medien – begonnen zu glauben, dass es allzeit die Schuld von einer anderen, externen Kraft ist.

Das Leben ist unvorstellbar und es passieren manchmal Dinge außerhalb deiner Macht. Ich will das nicht klein reden, aber es passieren auch Dinge in dem Leben, wo du deine volle eigene Verantwortung übernehmen musst. Einer von diesen Dingen, ist der Grund, dass ich dir diesen Brief schreibe.

In deinem Gefühl der Machtlosigkeit hast du einer Partei Macht verliehen, die Steuern auf Kopftüchern haben will, Einwander*innen zwingen will einen Assimilationsvertrag zu unterschreiben, ein Buch verbieten will und diese Woche bekannt machte „Weniger Marokkaner“ zu wollen. Nicht „weniger kriminelle Marokkaner“, nicht „weniger Islam“. Nein, „weniger Marokkaner“.

Ich glaube, dass es dir egal ist, aber ich musste bei diesem Urteil an meine Neffen und Nichten denken. Er sind fünf. Wenngleich du es auf den ersten Blick nicht von allen sagen könntest. Ich habe auch einen blonden Neffen und eine Nichte mit blauen Augen. Ich frage mich, was so ein Urteil mit ihrem Selbstbild tut?

Im besten Fall geht so ein Gedanke in das eine Ohr rein und aus dem anderen heraus. Im schlimmsten Fall hören sie es und beginnen an sich selbst zu zweifeln. Ich muss nicht daran denken, aber vielleicht beginnen sie sich ein wenig für sich selbst zu schämen. Ich bin ihnen häufiger begegnet, Kindern die fragten: „Warum hassen „sie“ „uns“?“

Du wählst die PVV und das ist dein gutes Recht. Aber das tust du nicht willenlos. Das tust du in dem vollen Wissen, dass du auf eine rassistische Partei stimmst. Und da sage ich noch nichts über den Rassismus, den Antisemitismus und dem Homohass bei den europäischen politischen Freund*innen der PVV.

Ich habe als Tweede Kamermitglied (Parlamentsmitglied) mein äußerstes Bestes getan, um deine Sorgen anzuhören und damit etwas zu machen, aber dieses Mal bist du es, der zuhören muss.

Du bist kein Opfer.

Vielleicht ist dein Leben nicht so wie du es dir wünscht. Vielleicht ist dir Unrecht angetan worden. Und vielleicht siehst du andere, die mehr Leichen haben, aber das ist keine Entschuldigung.

Du bist ein*e erwachsene*r Niederländer*in, die*der sich bewusst entscheidet eine rassistische Partei zu wählen. Macht dich das eine*n Rassist*in? Ich weiß es nicht. Es macht dich aber auf jeden Fall mitverantwortlich an Rassismus.

Ich habe es früher gegen deinen politischen Anführer gesagt, dass ich verstehe, dass die Ankunft und die dauerhafte Niederlassen von Immigranten, darunter Muslimen, als eine Zwangsheirat empfunden wird. Bei Ehen kannst du dich – wie schmerzhaft auch – scheiden. Aber sobald Kinder da sind, ist das Band für ewig und ein gutes Einverständnis in jeglichem Belang.

Meine Neffen und Nichten sind einige von diesen Kindern. Gleich, wenn du den roten Stift (in den Niederlanden wird mit einem roten Buntstift das Kreuz bei der Wahl gemacht) packst und deine Stimme der PVV schenkst, weißt dann, dass du zu ihnen sagst, dass sie minderwertig sind.

Da bist du selber vollständig verantwortlich für. Niemand Anderes.

Gruß,

Tofik